Licht, Schatten und Projektion in der Kunst
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Die Geburt des Schattens
Die dunkle Seite des Schattens
Mit dem Licht des ersten Weltentages wird auch der Schatten geboren:
Schatten sind die Spuren der Begegnung des Lichts mit den Körpern, die es auf seinem Weg vorfindet. Sie sind flach und körperlos. Ihr Umriss umfasst ein undefinierbares Inneres. Vor allem aber zeigen Schatten Abwesenheit auf, denn: Schatten ist das Fehlen von Licht. Dieser Makel der Negation, mit dem der Schatten behaftet ist, sein unstetes Erscheinen, sein sich Dehnen und Zusammenziehen, sein unheimlicher Tanz im Schein bewegter Flammen, macht verständlich, dass der Schatten mit Ängsten, Geistern und Dämonen in Verbindung gebracht wird. Zu allen Zeiten und in sehr unterschiedlichen Kulturen finden sich daher Geschichten, Tabus und Riten, die den Schatten betreffen: Ein Bereich komplexer Bilder, die aus der allmählichen Sedimentation getroffener Beobachtungen und religiöser Lebens- und Glaubensvorstellungen entstanden.
Die lichte Seite des Schattens
Der Schatten gibt Auskunft. Er erzählt von der Begebenheit der Objekte und er zeigt die Positionen der Objekte relativ zueinander, zur Lichtquelle und zum umgebenden Raum, auch dem kosmischen. Wer imstande ist, einen Schatten zu deuten, kann die Geschichte der Begegnung rekonstruieren, kann Ortsbestimmungen vornehmen und Größenverhältnisse konstruieren. Anhand der Schatten-Beobachtung entwickelt sich die Geometrie und spätestens hier kommt auch der Begriff der PROJEKTION ins Spiel.
So trennt schon früh eine Schattenlinie die einen, die nichts von den Mechanismen des Schattens verstehen, von den anderen, die über den Schatten zu philosophischen und wissenschaftlichen Erkenntnissen gelangen; und diese zu Hilfe nehmen, um ihre Herrschaft über den Raum zu behaupten.
Schattenmetapher
Die metaphorische Sprache hat üppig aus dem Bilderschatz des Schattens geschöpft. Schatten sind immateriell und wesenlos, und deshalb ist einer, der ein Schatten seiner selbst ist, nur noch ein blasses Abbild seiner früheren lebensvollen Persönlichkeit. Man stellt ein Schattenkabinett oder einen Schattenkaiser auf, streitet um den Schatten eines Esels – das heißt, man führt einen Prozess wegen einer nichtigen Angelegenheit. Es heißt, man kann nicht über seinen Schatten springen, wenn man trotz aller Anstrengung etwas nicht fertig bringt, was der eigenen Persönlichkeit nicht entspricht, oder aber man will über seinen Schatten springen, wenn man Unmögliches sich vorgenommen hat. Dem eigenen Schatten nachjagen meint, etwas Sinnloses tun. Als bloßer Schattenmann gilt, wer keine geachtete Persönlichkeit ist, nicht für voll genommen wird, und ein Schattendasein führt, wer kümmerlich sein Dasein fristet.
Und dann gibt es da noch Lucky Luc. Der Held, der schneller als sein Schatten schießt.
Schattentheater
Schattenspiele sind kult- oder theaterähnliche Aufführungen, bei denen unbewegliche oder bewegliche Figuren vor einem von hinten erleuchteten Papierschirm oder Tuch von einer oder mehreren Personen geführt werden. Der Ursprung dürfte in China liegen, von wo aus es sich nach Indonesien, den indischen Raum und die heutige Türkei verbreitete und dort jeweils einer Formänderung unterlag. Erinnert sei an das Wajang auf Java und in Bali, und nicht zu vergessen, das Karagös, das türkische Schattenspiel.
Auch in Europa finden sich seit dem 18. Jahrhundert Schattentheater. Doch während in den fernöstlichen Schattenspielen der Schattenspieler der die Figuren lenkt, stets anwesend und sichtbar ist, verwandelt sich im Westen der Akteur in einen Mechaniker der mehr und mehr sein Wirken verschleiert: Das Bedürfnis nach Illusion überwiegt den dramatischen Anspruch. Am Ende besiegelt die Mechanik den Untergang des Schattentheaters - das Pariser Chat Noir schließt bezeichnenderweise im Jahr der ersten Filmvorführung der Gebrüder Lumière. Die Schatten werden modern und reproduzierbar.
Der verräterische Schatten
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts sind die Pole die letzten Gebiete der Erde, die Forscher anlocken. Robert Peary zum Beispiel, der am 1. März 1909 sich mit vierundzwanzig Männern in Bewegung setzt, um am 6. April die amerikanische Flagge in einen Schneehaufen zu rammen und am 5. September 1909 die Eroberung des Nordpols bekannt zu geben. Doch Peary hat den Pol nie erreicht. Achtzig Jahre dauert es, bis die National Geographic Society einen Widerruf veröffentlicht. Ein Foto, das des berühmten Schneehaufens, verrät ihn. Am Nordpol steht die Sonne am Mittag des 6. April, das lässt sich aufgrund wissenschaftlicher Untersuchungen mit Sicherheit sagen, kaum sechs Grad hoch am Himmel. Menschen und Dinge müssten einen endlos langen Schatten werfen, was sie auf den Fotos Pearys keinesfalls tun.
Schattenmemorial
In Hiroshima bringt die Hitzewelle der atomaren Explosion die Fassaden der Häuser zum Schmelzen. Weniger als einen halben Kilometer von der Explosion entfernt, deckt ein Mann, der vor einer Bank auf deren Öffnung gewartet hat, mit seinem Körper einen Augenblick lang die Stufen und Mauer des Bankgebäudes ab, und dieser kurze Augenblick bewirkt einen Unterschied zwischen dem der Hitze direkt ausgesetzten Bereich und der vom Körper des Wartenden geschützten Zone: Auf den Stufen und der Mauer bleibt dieser Unterschied als Schattenriss erhalten.
Das Ende der bewegten Schatten
Bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts werden außer Wachskerzen vor allem Walrat- und Olivenöle als Leuchtmaterialien für die Stadt- und Straßenbeleuchtung eingesetzt. Zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts kommen dann Leuchtgaslampen auf und im Mai 1880 beginnt schließlich die Ära der elektrischen Beleuchtung, die innerhalb weniger Jahre das Gaslicht vollständig ersetzt. Für den Schatten hat dies zur Folge, dass er auf den Straßen und an den Hauswänden zu flackern aufhört. Diese bewegungslosen Schatten sind neu. Neu deshalb, weil sie bis zu diesem Zeitpunkt in der Natur nicht existieren, ja weil es überhaupt noch nie einen statischen Schatten gegeben hat.
Licht, Schatten und Projektion in Fotografie, Film und Theater
Literatur u.a.
Casati, R., Die Entdeckung des Schattens, Berlin 2001
Park, D., the fire within the eye, Priceton 1999
Tanizaki, J., Lob des Schattens, Stuutgart 1993
Röhrich, L., Das große Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten, Bd.3, Freiburg i. Br. 1992
Gombrich, E. H., Schatten. Ihre Darstellung in der westlichen Kunst, Berlin 1996
Stoichita, Viktor I., Eine kurze Geschichte des Schattens, München 1999